Durch gezielte Aktionen werden in der Region Marathwada Jugendliche, Erwachsene sowie staatliche Akteure gegen geschlechtsspezifische Gewalt und Diskriminierung sensibilisiert. Durch einen ganzheitlichen Ansatz soll aus dem Traum von einem gewaltfreien Leben für möglichst viele Mädchen und Frauen endlich Realität werden.
Die Fakten
Die Ziele
In Indien zeigt sich die extreme Ungleichheit der Geschlechter in einem hohen Mass an Gewalt gegen Frauen, häusliche Gewalt ist an der Tagesordnung. Viele Frauen sind bei der Heirat unter 18 Jahre alt. Deshalb konzentriert sich dieses Projekt auf die Prävention von häuslicher Gewalt und das Ende von Kinderehen. SWISSAID und die Partnerorganisationen vor Ort arbeiten dabei mit staatlichen Akteuren zusammen, um die gesamte Gesellschaft zu mobilisieren und so einen nachhaltigen Wandel zu ermöglichen. Für eine Zukunft, in der Frauen weniger Gewalt und mehr Selbstbestimmung erfahren.
Dieses Projekt wird von der Europäischen Union mitfinanziert.
Die Region Marathwada im Bundesstaat Maharashtra ist wenig entwickelt. 30 Prozent der Familien leben unter der Armutsgrenze. Das Bildungsniveau ist tief und Mangelernährung weit verbreitet. Vermehrte Trockenheit stellt die 20 Millionen Menschen, die in der Region Marathwada in Zentralindien leben, vor weitere Herausforderungen. Suizide unter Landwirten sind keine Seltenheit; viele Leute wandern ab und versuchen ihr Glück in einem anderen Bundesstaat.
Patriarchale Strukturen
Vor diesem Hintergrund herrschen viele patriarchale Strukturen vor. «Indische Mädchen sollen früh verheiratet werden, um sexuelle Verwirrung zu vermeiden.» Dieser Meinung sind laut einer Studie 67 Prozent der indischen Männer in Marathwada. Dabei ist es gerade die Kinderheirat, die für die Mädchen ein Leben ohne Rechte und Bildung beschliesst.
Oft gehen frühe Schwangerschaften einher, die für die Mädchen eine grosse psychische sowie physische Belastung sind. Gemäss einer Studie werden in der Region Marathwada beinahe die Hälfte der Frauen als minderjährige Mädchen verheiratet (befragt wurden junge Frauen im Alter von 20 bis 24 Jahren).
Ein weiteres Problem ist die häusliche Gewalt. Rund 42 Prozent der Befragten glauben, dass Gewalt des Ehemannes gegenüber seiner Frau unter bestimmten Umständen gerechtfertigt ist und die Frau es zum Wohl der Familie tolerieren sollte. In Indien ist häusliche Gewalt an der Tagesordnung. Die Opfer erhalten von ihren Familien, von Gemeinden und der Regierung wenig bis gar keine Hilfe.
Deshalb unterstützt SWISSAID gemeinsam mit Partnerorganisationen vor Ort Frauen darin, sich ein gewaltfreies Leben aufzubauen. Mit Präventionsmassnahmen sollen nicht nur Mädchen und Frauen, sondern auch Jungen und Männer für das Thema sensibilisiert werden. Sneha Giridhari von SWISSAID Indien konnte sich vor Ort von der Wirksamkeit der Präventionsmassnahmen überzeugen. Wichtig für grundlegende Veränderungen sei, gerade auch mit jungen Menschen zu arbeiten, sagt sie.
Gleichaltrige als Vorbilder
Doch wie erreicht man junge Menschen am besten? SWISSAID setzt in über 100 Dörfern der Region Marathwada unter anderem auf sogenannte «Peer Educators» aus bestehenden Jungen- und Mädchengruppen. Aus jeder Gruppe werden einige motivierte und sozial kompetente Jugendliche in Genderfragen geschult.
An den monatlichen Treffen der Jugendgruppen stellen sie verschiedene Themen zur Diskussion. Zum Beispiel: Was ist männlich? Was ist weiblich? Was bedeutet Gewalt für das Opfer? Was für den Täter? Welche Folgen hat eine Kinderheirat für die Betroffenen? Mit Liedern, Diskussionen, Plakaten und Rollenspielen werden die Themen spielerisch aufgearbeitet. Neben den monatlichen Treffen gibt es zudem die Möglichkeit sich beraten zu lassen.
Frauen-Patenschaft
Ganzheitlicher Wandel
Bei den Jungen muss man anfangen – bei den Alten aufhören. Mit öffentlichen Aktionen wie Kundgebungen, Videoclips oder Plakataktionen sollen Botschaften zur Gleichberechtigung der Geschlechter möglichst breit gestreut werden.
Neben den gesellschaftlichen Ansätzen darf man die staatlichen Akteure nicht ausser Acht lassen. Sie müssen sich über ihre Funktion im Klaren sein und falls nötig aktiv Unterstützung anbieten. Seien es juristische Dienstleistungen oder staatliche Beratungsbüros: Ziel ist, dass Kinderheirat und Gewalt an Frauen ernst genommen werden. Deshalb werden auch Vertretende von Institutionen sensibilisiert.
Durch diesen breiten Ansatz unterstützt SWISSAID Massnahmen, die einen gesamtgesellschaftlichen Wandel anstossen sollen. Damit geschlechtsspezifische Gewalt und Diskriminierung in Marathwada bald der Geschichte angehören.
Zeuginnen häuslicher Gewalt
«Mein Name ist Anjali Ramdas Jadhav. Ich bin 29 Jahre alt. Meine Eltern haben mich mit 14 verheiratet. Mein Mann ist aber vor acht Jahren verschwunden. Seither bin ich mit meinen zwei Söhnen allein. Es ist schwierig, für meine Familie zu sorgen. Die Preise sind enorm gestiegen. Ich kann mir keine Milch für die Kinder mehr leisten. Das letzte Mal Gemüse habe ich vor einem Monat gekauft. Auf dem Markt kosten Tomaten 100 Rupien pro Kilogramm. Normalerweise liegt der Preis bei 20 oder 30 Rupien. Wie soll ich mir das leisten? Die Kinder fühlen sich schwach. Ich gebe heute mehr als die Hälfte meines Einkommens für Lebensmittel aus. Dank SWISSAID habe ich mittlerweile eine Arbeit als Köchin im Rahmen des staatlichen Programms für die Mittagsverpflegung in der örtlichen Schule. Ausserdem arbeite ich als Tagelöhnerin auf einem benachbarten Bauernhof. Daneben hilft mir SWISSAID, an staatliche Hilfsgelder zu kommen. Das gibt mir etwas Boden unter den Füssen und mehr Selbstvertrauen, für mich und meine Familie einzustehen!»
Wie viele indische Mädchen wurde Sheetal Bhalerao bereits im Alter von 15 Jahren verheiratet. Aus dieser Verbindung gingen zwei Jungen hervor, doch nach drei Jahren Ehe starb ihr Mann. Ihr Stiefvater begann, sie sexuell zu missbrauchen, ebenso wie einige Jahre später ihr Stiefbruder. Als der Schwiegervater davon erfuhr, gefiel ihm das nicht, und er jagte Sheetal aus dem Haus und hinderte sie daran, ihre Söhne mitzunehmen. Sheetal fand Zuflucht bei ihren Eltern. Unsere lokale Partnerorganisation wurde über ihr Schicksal informiert. In der Beratungsstelle erhielt sie psychologische und rechtliche Unterstützung. Heute ist Sheetal wieder glücklich, hat einen charmanten Mann geheiratet und sieht ihre Kinder, wann immer sie will. «Ich bin wieder ein Mensch und nicht mehr ein Objekt. Ohne das Zentrum wäre das alles nicht möglich gewesen», sagt Sheetal Bhalerao, eine 26-jährige Frau aus dem Bezirk Latur in Maharashtra.
Archana Suryawanshi erfuhr dasselbe Schicksal wie viele Mädchen aus armen Familien in Indien: Sie musste heiraten, als sie noch minderjährig (15 Jahre) war. Sechs Jahre nach der Hochzeit begann ihr Mann zu trinken. Er schlug und beschimpfte sie jeden Tag vor den Augen ihrer beiden kleinen Töchter. Eines Tages hielt sie es nicht mehr aus und floh mit ihren Kindern. In ihrer Not wandte sie sich an unsere lokale Partnerorganisation, die sich gegen häusliche Gewalt einsetzt. In Folge kam es zu einem Gespräch mit ihrem Ehemann. Dieser verpflichtete sich, mit dem Trinken und der Gewalt aufzuhören. Heute lebt die junge Frau und ihre Kinder wieder mit ihrem Ehemann zusammen. «In unserem Haus ist Frieden eingekehrt», freut sie sich. «Dank der Beratung durch die Organisation habe ich mich sehr unterstützt gefühlt. Das hat mein Leben verändert», meint Archana Suryawanshi.