Während der bäuerliche Unmut in der Schweiz zunimmt, werden Stimmen laut, die eine lokalere und nachhaltigere Landwirtschaft fordern. Ist die Agrarökologie die Lösung? Aissé Barry, Programmleiterin von SWISSAID in Guinea-Bissau, Bernard Lehmann, ehemaliger Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft und Anne Chenevard, Schweizer Bäuerin und Präsidentin der Genossenschaft «Faire Milch», diskutierten über die Herausforderungen und Lösungen, die diese nachhaltige Landwirtschaftsmethode im Norden und Süden bietet.
Eine Stimme aus dem Norden
Anne Chenevard, eine Bäuerin aus dem Kanton Waadt, ist sich sicher, dass der Beruf der Bäuerin oder des Bauers auf allen Ebenen anspruchsvoll ist: wiederholte Kontrollen auf den Betrieben, Konsumentinnen und Konsumenten, die mehr Qualität zu einem niedrigeren Preis fordern und Händler mit überhöhten Margen. Trotz dieser Anforderungen erhalten die Bäuerinnen und Bauern ihrer Meinung nach zu tiefe Einkommen und relativ wenig staatliche Unterstützung. «Ohne echte wirtschaftliche Nachhaltigkeit können wir von den Bäuerinnen und Bauern nicht verlangen, mehr mit weniger zu erreichen», sagt sie.
Sie sieht die Antwort auf diese Probleme vor allem in einem stärkeren Vertrauen zwischen Konsumierenden, Produzierenden und Politiker:innen, qualitativ hochwertiger Ausbildung und einer langfristig kohärenten Agrarpolitik. Und die Agrarökologie? «Dafür brauchen wir nicht nur technische, sondern auch philosophische Unterstützung. Was steckt hinter diesem Konzept? Wohin führt es? Wir können den Bäuerinnen und Bauern agrarökologische Methoden nicht aufzwingen; sie müssen erst die Vorteile dieser Praxis verstehen.»
Die Bäuerin spricht nicht ablehnend über die Agrarökologie, sondern mit einem Bewusstsein für die Realität vor Ort: Die Methode erfordert neue Arbeitsweisen, einen Richtungswechsel, was eine Bereitschaft der Bäuerinnen und Bauern erfordert, die sie möglicherweise nicht haben.
Eine Stimme aus dem Süden
Aissé Barry kennt die Realität vor Ort. Als Programmleiterin von SWISSAID in Guinea-Bissau begleitet sie viele bäuerliche Gemeinschaften, die sich der Agrarökologie zugewendet haben. Mit der Unterstützung von SWISSAID setzen sie verschiedene nachhaltigere Methoden um, wie Mischkulturen, die Verwendung von natürlichem Dünger, kontrollierte Bewässerung oder Agroforstwirtschaft. Und das wirkt sich positiv auf ihr Leben aus. «Agrarökologische Methoden ermöglichen den Bäuerinnen und Bauern, die Vielfalt und Qualität der Nahrung zu verbessern, bessere Erträge zu erzielen, Geld für Chemikalien und Saatgut zu sparen und sogar Arztbesuche zu reduzieren», erklärt sie.
Dienst am Planeten
Über die individuellen Vorteile hinaus sind die Bedürfnisse einer ökologischeren Landwirtschaft für den Planeten offensichtlich. «Wir überschreiten die Grenze der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit. Der Klimawandel setzt die Produktivität unter Druck. Wir müssen unsere Beziehung zur Natur überdenken und unsere eigenen Beziehungen unter den Menschen neugestalten», erklärt Bernard Lehmann, ehemaliger Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft.
Doch auch wenn die Agrarökologie für ihn eine glaubwürdige Alternative zu unseren aktuellen Produktionsmethoden ist, lässt er andere Aspekte des Systems nicht ausser Acht. «Es ist sinnlos, mehr oder besser zu produzieren, wenn der Zugang zu Nahrung nicht verbessert und die Bevölkerung sensibilisiert wird. Im Süden müssen die wirtschaftlichen Bedingungen und die Arbeitsmarktlage verbessert werden, damit die Menschen ausreichend zu essen haben. Im Norden müssen wir die Bevölkerung an den fairen Preis für Lebensmittel erinnern und sie ermutigen, mehr Geld dafür auszugeben.»
Im Laufe der Diskussion wird deutlich, dass die Herausforderungen der Menschen, die Land bewirtschaften, im Norden wie im Süden die gleichen bleiben. Und auf der ganzen Welt scheinen die Wege zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft in die gleiche Richtung zu führen: Aufwertung lokaler Lebensmittel, weniger importierte Produkte, Schutz der Böden und Pflanzen sowie Ausbildung und Sensibilisierung neuer Generationen.
Die Agrarökologie basiert auf diesen Prinzipien und ist in diesem Sinne ein Schlüssel für die Nachhaltigkeit unseres Planeten. «Viele Bauern und Bäuerinnen wenden bereits, ohne es zu wissen, agrarökologische Methoden wie Bodenschutz vor Erosion, Bodenbedeckung, Gründüngung an», so Anne Chenevard. Daher sollten nicht alle Konzepte, die nicht unter dem Begriff der Agrarökologie stehen, abgelehnt werden, sondern ein neues Zusammenleben und ein Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur neu gedacht werden.