Der Zugang zu gesunden und nachhaltigen Lebensmitteln ist noch lange nicht für alle Menschen selbstverständlich. Weltweit leiden 735 Millionen Menschen an Hunger, das sind 10 Prozent der Weltbevölkerung. Gründe dafür sind die Folgen der Covid-19-Pandemie, Konflikte wie der Krieg in der Ukraine sowie die immer häufiger auftretenden Wetterextreme.
Besonders am heutigen Welternährungstag rückt das Thema Klima in den Fokus, denn die globale Erwärmung verschärft den Hunger in der Welt. Um in Zeiten der Klimakrise eine gesunde Ernährung zu gewährleisten, haben wir die Broschüre «Agrobiodiversität auf dem Teller» veröffentlich. Im Interview erklärt Kavita Gandhi, Leiterin des SWISSAID-Koordinationsbüros in Indien, warum die Agrobiodiversität im Zusammenhang mit dem Klimawandel besonders wichtig ist.
Die Situation in Indien
Kavita Gandhi, welche Klimaveränderungen werden in Indien beobachtet?
Kavita Gandhi: Hitzewellen, Wirbelstürme und Überschwemmungen: Extreme Wetterereignisse nehmen zu. Ausserdem beginnen die Sommer früh mit Temperaturen von bis zu 47 Grad, während die Regenzeiten kürzer werden.
Die globale Erwärmung verschärft das Problem des Hungers. Was sind die Gründe dafür?
Bäuerinnenfamilien sind auf Regen, Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität angewiesen, um ausreichend produzieren und gut leben zu können. Doch Hitzewellen, Dürren, Wassermangel und zunehmende Naturkatastrophen bedrohen die Landwirtschaft: Die Anbausaison wird immer kürzer, die Menge und Qualität der Ernten immer geringer. Trotz harter Arbeit haben Tausende von Kleinbäuerinnen und -bauern auf der ganzen Welt Schwierigkeiten, sich zu ernähren.
Für das Klima, gegen den Hunger
Wie sieht die Hungersituation in Indien aus, einem Land mit 1,4 Milliarden Einwohnerinnen und Einwohnern?
Hunger und Unterernährung sind chronische Probleme. Trotz der Bemühungen der Regierung liegt Indien dieses Jahr auf der Skala des Welthunger-Index auf Platz 111 von 125. Frauen und Kindern fehlt es an Vitaminen und Eisen, die meisten leiden an Anämie. In den Gemeinden, in denen wir arbeiten, ist die Herausforderung gross, dass die Menschen ausreichend Gemüse, Hülsenfrüchte und ein wenig Fleisch essen.
Welche Unterstützung leistet SWISSAID für die indische Bevölkerung?
Um die Widerstandsfähigkeit der Landwirtschaft und damit die Ernährungssicherheit angesichts der immer zahlreicheren und unvorhersehbaren klimatischen Bedrohungen zu stärken, fördern wir den Zugang zu resistentem und an das lokale Klima angepasstem Saatgut. Wir fördern auch die Vielfalt der Kulturen, indem wir vernachlässigte oder in Vergessenheit geratene Sorten wieder einführen.
Weiter erhöht SWISSAID die Kapazitäten lokaler Genossenschaften bei der Bewirtschaftung von Wäldern und Teichen: So können sich die von diesen Ökosystemen abhängigen Gemeinschaften ihre Lebensgrundlagen zurückerobern und ihre Einkommen diversifizieren. Darüber hinaus versuchen wir, gemeinsam mit den Bauernfamilien Massnahmen zur Anpassung an den Klimawandel zu finden, wie z.B. die Erhaltung von traditionellem Saatgut, den Schutz von Kulturen oder die Einführung von agrarökologischen Praktiken.
Welthunger-Index: Unterernährung steigt
Quelle: https://www.welthungerhilfe.org/
Warum bevorzugt SWISSAID den Ansatz der Agrarökologie?
Weil sie der Schlüssel zur Anpassung an den Klimawandel und zur Bekämpfung des Hungers ist: Dieser Weg ist umweltfreundlich, fördert die Gesundheit der Böden und der Bevölkerung und verzichtet auf den Einsatz von Chemikalien. Agrarökologie bietet biologische, lokale und saisonale Lebensmittel, die vielfältiger und qualitativ hochwertiger sind. Zudem bewahrt und fördert sie die Biodiversität.
Dazu hat SWISSAID eine Broschüre mit dem Titel «Agrobiodiversität auf dem Teller» veröffentlicht. Warum ist die Agrobiodiversität wichtig?
Heutzutage stammen 75 Prozent der menschlichen Nahrung von nur zwölf Pflanzen und fünf Tierarten. Mit anderen Worten: Unser Ernährungssystem ist von sehr wenigen Sorten abhängig. Eine abwechslungsreiche Ernährung ist für unsere Gesundheit und die unseres Planeten von entscheidender Bedeutung. Wir sehen es: Landwirtschaftliche Betriebe, die Nutzpflanzen, Bäume und Tiere kombinieren, erweisen sich als robuster gegenüber Klimaschocks und Ernährungsunsicherheit.
Was müssen die internationale Gemeinschaft und die Schweiz tun, um eine wachsende Weltbevölkerung unter den Bedingungen der globalen Erwärmung zu ernähren?
Zunächst einmal müssen sie dringend ihre Treibhausgasemissionen reduzieren: Die Länder des Nordens verschmutzen die Umwelt, während die benachteiligten Bevölkerungsgruppen in den Regionen des Südens den höchsten Preis dafür zahlen. Die Verursacher der globalen Erwärmung müssen Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel finanzieren und das Wissen darüber weitergeben. Außerdem müssen sie unbedingt ihre Ernährungsgewohnheiten ändern, damit diese klimafreundlicher werden.
Welthunger-Index 2023: Die Zukunft der jungen Generation ist bedroht
Quelle: https://www.welthungerhilfe.org/
Erfolge der Schweizer Allianz gegen den Hunger
Anlässlich des Welternährungstages vom 16. Oktober hat die Schweizer Allianz für nachhaltige Ernährung weltweit (Sufosec), der auch SWISSAID angehört, ihre erste Zwischenbilanz vorgestellt. Während der Hunger in den vergangenen Jahren wieder dramatisch zugenommen hat, ist es der Allianz von sechs Schweizer Organisationen der internationalen Zusammenarbeit gelungen, die Ernährungssicherheit in ihren Programmgebieten spürbar zu verbessern. Die nachhaltigen Erfolge wurden namentlich dank der Förderung von agrarökologischen Methoden in den Gebieten erreicht, aber auch mit der Stärkung lokaler Gemeinschaften und der Frauen, als Schlüssel zu stabileren Ernährungssystemen.