Vor etwa 30 Jahren beschrieb der bekannte Anthropologe Paul Richards die Arbeit von Kleinbäuerinnen und -bauern als eine Art Aufführung, ähnlich wie im Theater oder bei einer musikalischen Darbietung. Die Bäuerinnen und Bauern erwerben ihre Fähigkeiten und Kompetenzen durch Üben, Proben und Improvisieren. Während meines Besuchs bei den ecuadorianischen Bäuerinnen habe ich gelernt, dass dies auch auf die Vermarktung von landwirtschaftlichen Produkten zutrifft.
Seit 12 Jahren unterstützt SWISSAID Frauenvereinigungen in den ecuadorianischen Anden, um ihre Fähigkeiten im agrarökologischen Landbau zu stärken. Die Bäuerinnen lernen, verschiedene Arten von Kompost (unter anderem mit Meerschweinchenmist), sowie flüssige Biodünger und Biolösungen mit guten Mikroben herzustellen, die sie als Boden- und Blattdünger für Bäume und Gemüse benutzen. Wir besuchten vielseitige Betriebe, die reichlich Obst und Gemüse produzieren. Dies zeigt: Die Bäuerinnen beherrschen die Kunst des agrarökologischen Landbaus.
In den ecuadorianischen Anden unterstützt SWISSAID Bäuerinnen beim agrarökologischen Anbau, der Vermarktung ihrer Produkte und der Sensibilisierung der städtischen Bevölkerung.
Schon nach einem Jahr hatten die Kleinbauernfamilien ihre Fähigkeiten in diesem Bereich enorm verbessert. Doch SWISSAID stellte fest, dass weiterer Handlungsbedarf bestand. Abgesehen von improvisierten Ständen am Strassenrand fehlte den Bäuerinnen und Bauern ein Ort, um ihre Produkte in den Städten zu verkaufen. Ausserdem waren die Konsument:innen nicht bereit, einen Aufpreis für Lebensmittel zu zahlen, die ohne giftige Agrochemikalien hergestellt wurden. Die Bäuerinnen und Bauern erhielten deshalb eine Schulung zum Thema Vermarktung und wurden in Gruppen organisiert. SWISSAID half ihnen dabei, mit anderen Institutionen, wie der Universität und den lokalen Behörden, Kontakt aufzunehmen.
Bei meiner Arbeit an einem Video über agrarökologische Märkte wurde mir bewusst, wie viele Fortschritte die von SWISSAID unterstützten Bauernfamilien in der Region bereits erzielt hatten. Die Regionalregierung der Gemeinde Pelileo in der Provinz Tungurahua hatte der Bäuerinnenvereinigung inzwischen einen festen Tag für den Verkauf ihrer Bioprodukte auf einem überdachten Markt zugestanden. Sie nennen es den agrarökologischen Markt mit Produkten «vom Hof auf den Tisch».
Ausserdem werben die Bäuerinnen und Bauern über das Fernsehen, die Zeitungen und die sozialen Medien für gesunde Lebensmittel. Die Konsument:innen wissen so, dass jeden Donnerstag alle auf dem Bauernmarkt verkauften Produkte ohne Chemikalien hergestellt werden, und sind nun bereit, etwas mehr dafür zu bezahlen.
Die Konsument:innen wissen, dass jeden Donnerstag alle auf dem Bauernmarkt verkauften Produkte ohne Chemikalien hergestellt werden. Sie sind nun bereit, etwas mehr dafür zu bezahlen.
Eines Morgens nehme ich mit etwa 30 Frauen an einer Schulung auf dem Marktgelände teil. Zwei Frauen spinnen Wolle, eine andere Frau stillt ihr Baby. Mir fällt auf, dass alle Schulungen von sehr dynamischen Ausbildern:innen geleitet werden, die es offensichtlich verstehen, die Aufmerksamkeit der Zuhörerinnen zu fesseln. Mehrere Bäuerinnen haben frische Produkte mitgebracht. Sie nutzen lokale Töpferwaren und schön geflochtene Körbe, um die Produkte auf langen Tischen schön zu präsentieren. Die verschiedenen Behälter dienen als Verkaufseinheit. Alle einigen sich auf den Preis für eine bestimmte Produktmenge.
Dann kommt Verónica López, eine junge Theaterausbildnerin mit einer rosafarbenen Aerobic-Leggings, an die Reihe. Bald laufen alle Frauen herum und schauspielern zusammen. Immer wenn Verónica neue Anweisungen gibt, halten sie inne und spielen Emotionen wie Wut, Glück oder Liebe nach. Wie in einem Theaterstück lernen die Frauen, wie wichtig ihre Körpersprache beim Kundenkontakt ist oder welchen Unterschied es macht, wenn sie sich gegenseitig in die Augen schauen. Sie lernen, ihre Meinung zu äussern und gleichzeitig freundlich zu bleiben. Und sie überwinden ihre Schüchternheit, indem sie in einer spielerischen, nicht konfrontativen Umgebung mit befreundeten Bäuerinnen üben.
Wie bei einer Theater- oder Musikvorführung gilt: Je besser die Schauspielerinnen auf ihr Publikum achten, desto besser wird das Stück. Durch das Üben und Einstudieren neuer Fähigkeiten – wie den Konsument:innen in die Augen zu schauen, mit ihnen zu interagieren, freundlich und geduldig zu sein – haben die Bäuerinnen in Ecuador schon viele Fortschritte gemacht. Ihre Bemühungen tragen bereits Früchte.
Während der Covid19-Pandemie waren die Märkte drei Monate lang geschlossen. Dank den guten Beziehungen zu ihren Kund:innen, konnten die Bäuerinnen ihre Produkte direkt auf dem Hof verkaufen. SWISSAID unterstützte diese Anpassung, indem sie zum Beispiel Schilder an den Bauernhöfen aufstellte, damit die Konsument:innen aus der Stadt die agrarökologischen Produzenten besser finden konnten.
Wie bei einer Theater- oder Musikvorführung gilt: Je besser die Schauspielerinnen auf ihr Publikum achten, desto besser wird das Stück. Durch das Üben und Einstudieren neuer Fähigkeiten – wie den Konsument:innen in die Augen zu schauen, mit ihnen zu interagieren, freundlich und geduldig zu sein – haben die Bäuerinnen in Ecuador schon viele Fortschritte gemacht.
Das Üben, Proben und Improvisieren gibt den Bäuerinnen die Möglichkeit, sich erfolgreich an ein sich wandelndes Umfeld anzupassen, und ist sicherlich auch entscheidend für den Erfolg der Vermarktung gesunder Lebensmittel.
Paul Richards hatte Recht, Landwirtschaft ist eine Art Aufführung. Offenbar trifft das auch auf die Vermarktung zu. Und die Kunst des Theaters kann Bäuerinnen helfen, erfolgreich mit Kunden zu interagieren.
Originalartikel: Marketing as a performance, agroinsight.com, 13. Februar 2022, Text: Paul Van Mele