Es ist offiziell: SWISSAID ist 75 Jahre alt geworden. Seit einem dreiviertel Jahrhundert widmen wir uns den ärmsten Menschen im Süden und setzen uns ein für eine Welt ohne Hunger. SWISSAID wäre aber ohne ihre Mitarbeitenden im Süden und im Norden und ohne die grosszügigen privaten, institutionellen und staatlichen Spenderinnen und Spender nicht das, was sie heute ist. Ein unvergesslicher Tag, der uns motiviert, weiterhin mutig dranzubleiben und nicht nachzulassen. Für eine Welt ohne Hunger. Ein herzliches Dankeschön gilt Ihnen allen!
Neun Ateliers mit zahlreichen Einblicken aus erster Hand
In neun 45-minütigen Ateliers erlebten unsere Gäste, wer die Menschen in unseren neun Partnerländern sind, die sich für eine Welt ohne Hunger einsetzen. Mit Hilfe von Präsentationen, Fotos und Videos informierten die Leiterinnen und Leiter der SWISSAID-Koordinationsbüros in Ecuador, Kolumbien, Nicaragua, Tschad, Niger, Guinea-Bissau, Tansania, Indien und Myanmar aus erster Hand über die aktuelle Situation, erzählten über Veränderungen in den letzten Jahren und stellten dar, welche Massnahmen und Strategien zur Bekämpfung der Probleme ergriffen wurden.
Dabei standen die SWISSAID-Schwerpunktthemen Klimawandel, Agrarökologie, Geschlechtergerechtigkeit, Ernährungssicherheit und Hungerbekämpfung im Fokus. Im Spezialatelier «Hunger ist weiblich» wurde auf die zentrale Rolle der Frauen in der Bekämpfung des Hungers eingegangen.
Atelier Hungerbekämpfung und Ernährungssicherheit
Über die schlechte Wirtschaftslage und die Not der Menschen in Myanmar informierte Kamam Zau Hkam, Leiter des Koordinationsbüro. Rund die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut. 17,6 Millionen Menschen befinden sich derzeit in humanitärer Notlage und 28 Prozent der Menschen sind vom Hunger bedroht.
In Indien litten die Menschen seit der Covid-Pandemie noch mehr an Hunger. Die Klimakrise trägt ihr Übriges bei. Kavita Ghandi, Leiterin des Koordinationsbüros in Indien erklärte, welche Strategien die Menschen im Land gegen den Hunger aufgrund des Klimawandels anwenden.
Betty Malaki, Leiterin des SWISSAID-Büros zeigte die Situation in Tansania auf. Dort ist die Not besonders gross: 87 Prozent der Menschen können sich nicht ausreichend und gesund ernähren. Die Anzahl der unterernährten Menschen bleibt auf hohem Niveau, fast die Hälfte aller Menschen leben unter der Armutsgrenze. Über die Hälfte der Menschen arbeiten in der Landwirtschaft, die Mehrheit davon sind Frauen. Doch nur 8 Prozent der Frauen im Land besitzen ihr eigenes Land, das sie erwerben und bebauen können.
Damit die Not gelindert werden kann, müssen den Menschen mehr Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. SWISSAID unterstütze die Kleinbäuerinnen und -bauern bei Landwirtschaftsarbeit, mit Werkzeugen und Ausrüstung, bei der Viehzucht und führte sie in agrarökologischen Praktiken ein. So konnten wir im 2022 über 26.000 Haushalten helfen, die sich in grösster Not befanden.
Kamam Zau Hkam, Leiter des Koordinationsbüro in Myanmar
Um den Hunger zu überwinden, werden in Tansania agrarökologische Massnahmen gelernt und die Bäuerinnen und Bauern dabei unterstützt, Zugang zu den Märkten zu erhalten, damit sie sich gesund und vielfältig ernähren können. Hier wird den Müttern bereits im Spital nach der Geburt gezeigt, wie sie sich und ihre Kinder gesund und ausgewogen ernähren können.
Betty Malaki, Leiterin des Koordinationsbüros in Tansania
Atelier Geschlechtergerechtigkeit und Gewalt an Frauen
In den Ateliers rund um die Gleichstellung der Geschlechter erklärten Betty Malaki, Kavita Ghandi und Kamam Zau Hkam, die Länderverantwortlichen aus Tansania, Indien und Myanmar, den Kontext in Bezug auf die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und wie sie im Zusammenhang mit anderen sozialen Problemen stehen.
In Indien ist häusliche Gewalt weit verbreitet, insbesondere bei Frauen. Studien zeigen, dass jede dritte Frau in Indien körperliche Gewalt erleidet. Dieser Zustand ist grösstenteils auf soziale Normen in Indien zurückzuführen. Auch ist die Gewalt eng mit anderen sozialen Problemen wie Armut, Kinderheirat, mangelnder Bildung und Alkoholkonsum verbunden. Die Herausforderungen sind immens: Die Frauen suchen oft keine Hilfe, es gibt nur wenige Organisationen, die sich mit häuslicher Gewalt befassen.
Swissaid setzt sich umfassend für die Bekämpfung häuslicher Gewalt ein und stärkt Frauen, in der sie frei von Angst und Gewalt leben können. Wie bieten Beratungsdienste für Opfer an, um ihnen einen sicheren Raum und Unterstützung zu bieten. Ein sozialer Wandel hin zu mehr Gleichstellung erfordert ganzheitliche Bildung und Sensibilisierung und Gesetze gegen Diskriminierung. Die Einbeziehung von Männern als Verbündete, um eine neue Perspektive für zukünftige Generationen zu schaffen, ist dabei zentral.
Kavita Ghandi, Leiterin Koordinationsbüro in Indien
Spezialatelier «Hunger ist weiblich»
Im wohl meist besuchten Atelier präsentierten die Länderverantwortlichen aus Niger, Tschad und Guinea-Bissau eindrücklich, warum Hunger weiblich ist und besonders die Frauen von Hunger betroffen sind. Diesen Umstand präsentierte Mahamane Rabilou Abdou, Leiter des SWISSAID-Koordinationsbüro Nigers bildlich anhand des Tagesablaufs einer Frau und eines Mannes im Niger.
Olivier Ngardouel Mbaïnaïkou, Leiter des SWISSAID-Koordinationsbüro Tschad ergänzte, dass die Frauen am stärksten von Hunger betroffen sind, weil sie erst dann essen, wenn alle anderen gegessen haben. Oft bleibe dann nicht mehr viel übrig. Ausserdem würden die Frauen den ganzen Haushalt und die finanzielle Last allein tragen.
Männer müssen in die Projektarbeit integriert werden, nur dann erkennen sie die Problematik und die Zusammenhänge und tragen Veränderungen mit.
Olivier Ngardouel Mbaïnaïkou, Leiter des SWISSAID-Koordinationsbüro Tschad
Es tut mir weh, zu sehen, dass die Frauen arbeiten bis zum Umfallen. Drei Stunden Pause am Tag sind unmenschlich, das muss sich ändern.
Mahamane Rabilou Abdou, Leiter Koordinationsbüro
Nur wenn Frauen Land erwerben können, können sie es bewirtschaften, davon ernten und (über)leben oder die Produkte auf dem Markt verkaufen. Und dank Alphabetisierungskursen lernen Frauen rechnen und schreiben. Sie können besser verhandeln, kalkulieren und sich behaupten.
Ousmane Coulibaly, Leiter Koordinationsbüro Guina-Bissau
Atelier Klimawandel und Agrarökologie
Walquiria Perez, Marina Flores und Oscar Quillupangui, die Leiterinnen und Leiter der SWISSAID-Koordinationsbüro in Kolumbien, Nicaragua und Ecuador informierten in diesem Atelier über die Auswirkungen und Veränderungen des Klimawandels.
In Mittel- und Südamerika wird wegen des Klimawandels ein allgemeiner Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion erwartet, wodurch sich die Ernährungssicherheit insbesondere für Bäuerinnen und indigene Völker verschlechtern wird. Das heisst weniger Bohnen, Mais und Reis, die wichtigsten Lebensmittel in Zentralamerika. SWISSAID setzt mithilfe agrarökologischer Methoden alles daran, die Kleinbäuerinnen und -bauern dabei zu unterstützen, ihre landwirtschaftliche Produktion zu steigen, damit die Lebensmittel- und Ernährungssicherheit während des ganzen Jahres gewährleistet ist. So wird die biologische Vielfalt und die Resilienz der Böden gefördert, landwirtschaftliche Betriebe werden widerstandsfähiger gegen den Klimawandel.
Semilla es vida – Saatgut bedeutet Leben! Lokales Saatgut ist ein wichtiger Bestandteil der genetischen Vielfalt. Es ist resilient und lässt sich lange Zeit konservieren und ist für das Überleben der Bäuerinnen Bauern in Zentral- und Südamerika von grösster Bedeutung.
Walquiria Perez, Länderverantwortliche Kolumbien
Es ist zentral, dass die Frauen, Jugendlichen und Männer ihr Wissen weitergeben. Das Programm «Campesino a Campesino» setzt genau da an. Dabei werden Informations- und Austauschnetze entwickelt um neue Herausforderungen zu bewältigen und das Wissen zu stärken. Die Bäuerinnen und Bauern lernen und experimentieren mit verschiedenen Praktiken und ermitteln, was in ihren Betrieben am besten funktioniert.
Marina Flores, Verantwortliche Koordinationsbüro Nicaragua
Dass wir Länderverantwortlichen uns regelmässig austauschen, liegt auf der Hand. Methoden, die in Nicaragua oder Kolumbien funktionieren, können auch in Ecuador erfolgreich sein – und umgekehrt. Dank der Weitergabe und dem Austausch von Wissen, lernen die Bäuerinnen und Bauern stetig dazu und können eigene Methoden weiterentwickeln und auf die lokalen Begebenheiten anpassen.
Oscar Quillupangui, Leiter Koordinationsbüro in Ecuador
Fest in der Kulturschüür Uptown Gurten
Beim anschliessenden Fest in der Kulturschür Uptown moderierte Journalistin Melanie Pfändler gekonnt durch den Abend. In einer entspannten und fröhlichen Atmosphäre kamen verschiedene Menschen und Wegbegleiter:innen von SWISSAID zu Wort. Sie erzählten ihre ganz persönlichen Geschichten. Die interessanten und spannenden Einblicke hinter die Kulissen wurden vom Multitalent Enrico Lenzin – Alphorn Drums Hang Talerschwingen umrahmt.
Caroline Morel bot Einblick in ihre Arbeit als Geschäftsleiterin von SWISSAID zwischen 2002 und 2018. Sie blickt heute mit Genugtuung darauf zurück, dass SWISSAID bereits damals den Mut hatte, die Agrarökologie zum zentralen Thema zu machen und die Organisation entsprechend zu positionieren.
Nicole Stolz, Abteilungsleiterin Entwicklungszusammenarbeit bei SWISSAID, wies auf die Wichtigkeit des Wissenstransfers hin. Aber auch auf die Vorteile von Netzwerken und Partnerschaften, mit denen mehr Wirkung erzeugt werden kann.
Bewegendes erzählte auch Laila Müller, Verantwortliche für Privates Engagement und Philanthropie bei SWISSAID: So etwa die Geschichte eines Willensvollstreckers, der über den Verstorbenen schrieb: «Schon zu Lebzeiten war sein Glaube und damit verbunden sein grosses Herz für Menschen, die nicht auf der Sonnenseite standen, sehr gross.» Oder die Geschichte eines langjährigen Paten, der dank eines Lotteriegewinns die einmalige Gelegenheit nutzte, eine grosse Summe zu spenden – ein Betrag, der ihm finanziell bisher nicht vergönnt war. «Was alle diese Geschichten und die Menschen dahinter eint, ist das Vertrauen in unsere Arbeit, in ihre Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit», so Laila Müller.
Gespannt hörten die Gäste Tobias Brülisauer-Spitzli zu, privater Spender und Pate für Biolandbau, der anlässlich des 50-jährigen SWISSAID-Jubiläums zehn Tage in Guinea-Bissau verbrachte. «Diese Tage haben mein Leben nachhaltig verändert. Danach blickte ich mit anderen Augen in die Welt», so seine emotionalen Worte.
«Warum ich bei SWISSAID arbeite? Weil ich den Menschen helfen und die humanitären Werte von SWISSAID weitergeben will. Das ist es, was mich seit 13 Jahren anspornt. Einmal SWISSAID immer SWISSAID.»
Olivier Ngardouel Mbaïnaïkou, Leiter des Koordinationsbüros Tschad neben Blaise Burnier, Senior Regional Advisor Afrika und Kavita Ghandi, Länderverantwortliche Indien.
Das wichtigste SWISSAID-Rezept sei und bleibe aber das Konzept der Hilfe zur Selbsthilfe.
«Wir können nicht unser Wissen und unseren Lebensstil in die Länder des Südens exportieren. Sondern wir müssen gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung vor Ort Lösungen finden.»
Nicole Stolz, Abteilungsleiterin Entwicklungszusammenarbeit bei SWISSAID
Die Stärke von SWISSAID liegt in ihrer langjährigen Erfahrung und starken Verankerung, in ihrem Bestreben, bei den verletzlichen Bevölkerungsgruppen in unsicheren oder schwierigen Lebensumfeldern zu bleiben und angesichts dieser enormen Herausforderungen Allianzen zu schmieden. Ich wünsche ihr, dass sie so weitermacht.
Mary-Laure Crettaz, Leiterin der Sektion Ernährungssysteme der DEZA
Die am meisten benachteiligten Menschen in Kolumbien sind die Frauen und Kleinbäuerinnen. Sie leiden an Hunger und Mangelernährung. Sie arbeiten viel, aber ihre Leistungen werden nicht anerkannt. Sie haben keine Rechte und leiden unter häuslicher Gewalt.
Es macht mich stolz, mich für dieses benachteiligten Frauen einzusetzen. Nichts macht mich glücklicher, Erfolgsgeschichten von Frauen zu hören, die einen Weg aus der Gewalt, dem Hunger und der Armut finden.
Walquiria Perez, Leiterin des Koordinationsbüros in Kolumbien.
Ich erinnere mich noch an die turbulenten Diskussionen im Stiftungsrat vor zehn Jahren, als wir uns fragten, ob wir es wagen sollten, uns ganz dem Thema Agrarökologie zu widmen. Und heute, wie Frau Crettaz sagt, sind wir darin Pionierin, wow!
Bastienne Joerchel, Co-Präsidentin SWISSAID
Der Ansatz der Hilfe zur Selbsthilfe, das ist das Fundament der Arbeit von SWISSAID. Ich bin wahnsinnig stolz und dankbar, Teil dieser Familie zu sein.»
Fabian Molina, Co-Präsident SWISSAID
«Wir bleiben, wir helfen. Seit 75 Jahren schreiben wir gemeinsam mit Ihnen kleine und grosse Geschichten. Dafür danken wir Ihnen von ganzem Herzen. Ihre Unterstützung ermöglicht es uns, weiterhin Hoffnung und Hilfe in diesen schwierigen Zeit zu schenken.» Mit diesen Worten dankte Markus Allemann, Geschäftsleiter von SWISSAID, abschliessend den anwesenden Gästen in der Schüür.